Pulverfabrik – Rottweil

Wo sich seit dem 16. Jahrhundert im Neckartal Mühlen auf die Herstellung von Schießpulver spezialisiert hatten, setzte ab 1887 eine sprunghafte Entwicklung ein, als hier Anlagen für die Produktion großer Mengen rauchlosen Schießpulvers aufgebaut wurden. Auslöser dafür war die Erfindung eines neuen Pulvers durch Max Duttenhofer, mit dessen Person der Aufstieg der Fabrik eng verbunden war. Zur Zeit ihrer größten Ausdehnung während des Ersten Weltkriegs waren hier 2200 Personen beschäftigt. Die beengte Lage im Tal war ein Standortvorteil, indem die gefährliche Herstellung des Pulvers, die immer wieder zu tödlichen Explosionen führte, abgeschieden von der Öffentlichkeit vor sich gehen konnte.

Nach Demontagen nach beiden Weltkriegen wurde auf die Herstellung von Kunstseide umgestellt. Seit 1996 erfolgt die Umwandlung zum Gewerbepark Neckartal mit einer Mischung aus Wohnen und Arbeiten. An den gut erhaltenen Industriebauten lassen sich noch heute Wachstum und Wandel des Werks ablesen. Sie umspannen die Zeit zwischen 1840 und 1964, wobei der Großteil des Baubestands auf die Zeit des Ersten Weltkriegs zurückgeht. 40 Bauwerke sind als Kulturdenkmale ausgewiesen.

Objekt Pulverfabrik
Adresse Neckartal 1-303, 78628 Rottweil
Webseite https://www.tourismus-rottweil.de/das-original/industriekultur
Nutzung ursprünglich Pulverfabrik, Textilfabrik
Nutzung aktuell
Gewerbepark, Eventlocation
Pulverfabrik Rottweil

von Stefan King

Geschichte

Waren die Tradition der Pulverherstellung und die Nutzung der Wasserkraft Grund für die Ansiedlung der Pulverfabrik im Neckartal bei Rottweil gewesen, bereitete die Lage im engen Tal der Expansion zunehmend Schwierigkeiten und Einschränkungen. Doch in der abgeschiedenen Lage konnte die gefährliche Herstellung des Pulvers, die immer wieder zu tödlichen Explosionen führte, fernab der Öffentlichkeit vor sich gehen, der ländlich geprägte Raum hielt billige Arbeitskräfte vor, die die gefahrvolle Tätigkeit auf sich nahmen, und der Umgang mit der Kleinstadt bereitete kaum Probleme. Selbst im Zweiten Weltkrieg richteten die wenigen Bombentreffer nur unbedeutenden Schaden an.

Schon im 16. Jahrhundert hatten sich Mühlen im Neckartal auf die Herstellung von Schießpulver spezialisiert und nutzten die Wasserkraft des Flusses. Drei Mühlen wurden schließlich zu Keimzellen der Fabrik, beginnend mit Schwarzpulverwerken, die man in den 1870er Jahren Hangfuß gebaut hatte. Bereits in den 1880er Jahren setzte eine sprunghafte Entwicklung ein, als Anlagen für die Produktion großer Mengen rauchlosen Schießpulvers aufgebaut wurden. Auslöser dafür war die Erfindung eines neuen Pulvers durch Max Duttenhofer (1843-1903, seit 1888 von Duttenhofer), der die Direktion mit nur 20 Jahren übernommen hatte. Unter seiner Führung erlangte die Pulverfabrik einen steilen Aufstieg und exportierte schließlich in alle Welt. 1877 gründete Duttenhofer bei Geesthacht an der Elbe unweit von Hamburg eine weitere Fabrik.

In Rottweil folgte auf einen 1887 mit dem deutschen Kriegsministerium abgeschlossenen Vertrag der Bau eines zusammenhängenden Schießwollebetriebs, eines wegen Explosionsgefahr aus vielen kleinen Gebäuden zusammengesetzten Pulverbetriebs und eines Gebäudekomplex für Forschung, Kontrolle und Präsentation. In den Folgejahren wurden mit einer Säurefabrik, einer Ätherfabrik und einer Jagdpatronenfabrik eigenständige Fabrikationsanlagen geschaffen und weitab flussabwärts kamen Magazinbauten hinzu, die mittels einer Drahtseilbahn mit dem Werk verbunden waren.

Die größte Ausdehnung erreichte die Pulverfabrik vor und während des Ersten Weltkriegs mit 2200 Beschäftigten. Ein Großteil des heutigen Baubestands geht auf diese Zeit zurück. Damals wurde ein Kraftwerk von enormer Größe errichtet und ein Ausbau des Neckars, der zuvor immer wieder über die Ufer getreten war, in Verbindung mit einem Walzenwehr vorgenommen. Durch die Flusskorrektur konnte zusätzliches Baulands in der Flussaue gewonnen werden, wo ein ausgedehnter Komplex aus Werkstätten Platz fand.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurden die Anlagen zur Militärpulverproduktion demontiert und nur noch die Befüllung von Jagdpatronen zugelassen. Stattdessen wurde eine Kunstseideproduktion (Viskose) im früheren Schießwollebetrieb aufgebaut, der Stück um Stück zu einem riesigen zusammenhängenden Komplex aus Werkshallen wuchs.

Im Vorfeld und während des Zweiten Weltkriegs wurde die Herstellung von Schießpulver wieder aufgegriffen, doch die Herstellung von Fallschirmseide in der neu errichteten sog. Spulerei hatte mindestens dieselbe Bedeutung. Die Rottweiler Fabrik wurde dem Industriegiganten mit der harmlosen Bezeichnung IG Farben einverleibt. Das gesamte Werksgelände umgab nun ein 15 km langer, bewachter Zaun und es bestand eine Nachrichtensperre. Blieb das Werk während des Kriegs von Luftangriffen weitgehend verschont, so ereignete sich am 1942 jedoch eine schwere Explosion, bei der 17 Menschen ums Leben kamen. Teil des Wiederaufbauds war die Errichtung eines großen Baus zur Herstellung technischer Garne, wie sie u.a. zu Reifencord und Seilen verarbeitet wurden. Gegen Ende des Kriegs wurde die Produktion weitestgehend von Fremdarbeitern aus kollaborierenden Staaten und verschleppten Zwangsarbeitern aufrechterhalten.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wiederholte sich die Demontage der Produktionsanlagen für militärisches Schießpulver. Die Herstellung von Kunstseide konnte hingegen aufrechterhalten werden und die Erzeugung von Jagdpatronen war wieder möglich. 1963 wurde die Rottweiler Kunstseide AG der Rhodia AG in Freiburg zugeordnet und später eingegliedert. Das Gelände des demontierten Pulverbetriebs nahm 1964 ein ausgedehnter Neubau zur Herstellung von Nylon ein und dort feine Nylongarne für Bade- und Sportmode, Unterwäsche, Strümpfe und bügelfreie Hemden gefertigt. Nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den 1970er Jahren wurde alles in den Großbauten konzentriert, sodass viele kleinere Gebäude leerstanden, teilweise vermietet oder dem Verfall preisgegeben waren. Als sich der Nylonmarkt aber zunehmend verschlechterte, wurde trotz der modernen Produktionsanlage die Fertigung in Rottweil 1994 eingestellt.

Seit 1996 erfolgt die Umwandlung zum Gewerbepark Neckartal mit einer Mischung aus Wohnen und Arbeiten. An den gut erhaltenen Industriebauten lassen sich noch heute Wachstum und Wandel des Werks im Neckartal ablesen, weshalb die Fabrikanlage eine Sachgesamtheit im Sinne des Denkmalschutzes ist und 40 Bauwerke als Kulturdenkmale in die Denkmalliste eingetragen sind.

Entlang der durch den Gewerbepark führenden Hauptstraße sind 44 Tafeln auf acht Stationen verteilt, die Informationen zu Geschichte, Funktionsweise, Bedeutung und Produkten der Pulver- und späteren Textilfabrik bieten. Von ausgewählten Gebäuden sind anhand historischer Baupläne und Fotografien Funktion, Architektur und Veränderungen, denen sie im Laufe der Zeit unterworfen waren, dargestellt.

Gebäude

In der Zeit Duttenhofers hatte man offenbar alle Bauten in Eigenregie entworfen und gebaut, doch nur wenige sind erhalten geblieben. Die Außenfassaden der Mauerwerksbauten waren mit sichtbaren Klinkern heller und dunkler Färbung gemauert, mit stichbogigen Öffnungen, Wandvorlagen und Traufgesimsen, heute sind sie jedoch verputzt. Viele Werksbauten besaßen Tonnendächer aus Wellblech, die größeren mit dekorativen Eckaufbauten. Das Inspektorenwohnhaus am Werkseingang konnte sein ursprüngliches Aussehen bewahren. Der äußerlich schlichte Museumssaal überrascht mit einer historistischen Innendekoration.

Während des groß angelegten Ausbaus der Fabrik in den Jahren vor und während des Ersten Weltkriegs wurden für Gebäude für Verwaltung, Forschung und Arbeiterschaft, die entlang der Erschließungsstraßen das Bild der Fabrik prägen, wurden externe Architekten hinzugezogen.

Von Heinrich Henes, seit 1906 in Stuttgart tätig und seit 1910 Professor an der Baugewerbeschule, ist nur das Chemische Labor von 1910 in neoklassizistischen Formen unverändert erhalten geblieben. Es dient als Hintergrund für das 1905 aufgestellte Denkmal mit einer Büste des Fabrikgründers aus der Hand des in Stuttgart ansässigen Bildhauers Adolf Donndorf (1835-1916, seit 1910 von Donndorf). Im Giebel ist ein eindrückliches Relief eines mit einer Granate spielenden Löwen, vermutlich vom selben Künstler.

Die Bauten des Rottweiler Architekten Albert Staiger wirken durch ein Zusammenspiel von Baukörpern, Dachformen, Fensterformen und einfacher Gliederung klassizistischer Prägung. Davon gibt es noch ein Beamtencasino und ein Wasch- und Umkleidegebäude von 1913, eine Kraftwagenhalle, ein Badhaus und ein Ökonomiegebäude von 1915, sowie ein turmartiger Bau für die Ätherfabrik von 1916 erhalten.

Mit der Gestaltgebung des Äußeren des 1916 errichteten Kraftwerks beauftragte man den Architekten Paul Bonatz, Professor an der TH Stuttgart und durch den Bau des Stuttgarter Hauptbahnhofs bekannt geworden. Zur voluminösen, ausdruckstarken Hülle für die kraftstrotzende Maschinerie bediente er sich Formen des Burgenbaus und der Antike Ägyptens und Mesopotamiens.

Die ausgedehnten Werkstätten von 1916 bestechen durch ihre bemerkenswerte Konstruktionsweise in Eisenbeton, ihre daraus abgeleitete Formgebung und starke Durchlichtung auf. Sie sind offenbar als reine Ingenieursbauten durch die Firma Ludwig Bauer, Beton-Eisenbetonbau in Stuttgart-Cannstatt, geschaffen worden.

Die Untere Neckarbrücke überspannt den Neckar in diagonaler Richtung. Entwurf und Berechnung in der neu entwickelten Eisenbetontechnik gingen auf Prof. Emil Mörsch zurück, seit 1916 Professor für Statik an der TH Stuttgart.

Weiterführende Informationen und Links:

Stadt Rottweil – Industriekultur

Wikipedia: Pulverfabrik Rottweil

Interessanter Artikel in Monumente-online

Flyer zum Industriepfad (PDF)

Literaturtipps:

Bernhard Laule: Die ehemalige Pulverfabrik in Rottweil am Neckar. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, Heft 4, 1984, S. 124-133.

Jörg Kraus: Für Geld, Kaiser und Vaterland – Max Duttenhofer, Gründer der Rottweiler Pulverfabrik und erster Vorsitzender der Daimler-Motoren-Gesellschaft. Bielefeld 2001.

Viola Grohe, Stefan King, Sebastian Tesch: IndustriePfad Pulverfabrik Rottweil – Themenweg Geschichte und Gebäude. Rundweg mit 44 Tafeln durch den Gewerbepark Neckartal, 2008.
(Besprechung: Kerstin Renz: Wissen schafft Wertschätzung – Industriepfad führt Besucher durch die ehemalige Pulverfabrik Rottweil. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 38. Jg., Nr. 3, 2009, S. 147-152.)

Stefan King, Hermann Klos (Hg.): Industriekultur im Neckartal Rottweil – Vom Pulver über Nylon zur gewerblichen Vielfalt. Rottweil 2012; zweite erweiterte Auflage 2016.
(Besprechungen: Hendrik Leonhardt, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 42. Jg., Nr. 1, 2013, S. 49f. – Kerstin Renz, in: Industriekultur, 19. Jg., 62. Heft, Ausgabe 1/2013, S. 63.)

Beatrice Häring: Im Tal. 1914. Heute. – Das neue Leben der Pulverfabrik im Rottweiler Neckartal. In: Monumente, April 2014, S. 68-72.